Wie mache ich mein Unternehmen unabhängiger von mir?

Kleine Unternehmen können extrem schlagfertige, professionelle Organisationen sein. Nur wenn jedes Rad im Uhrwerk 100%-ig funktioniert, kann das Unternehmen erfolgreich sein. Je weniger Mitarbeiter, desto höher die Bedeutung jedes einzelnen. Das ist einerseits ein Vorteil, aber kann auch ein Nachteil sein - insbesondere wenn der Geschäftsführer und Hauptgesellschafter des Unternehmens auf absehbare Zeit plant, seine Gesellschaftsanteile zu verkaufen und sich aus dem operativen Geschäft zurückzuziehen.

Wie drückt sich die Abhängigkeit aus?

Je relevanter die Person des Geschäftsführers / der Geschäftsführerin für den Unternehmenserfolg, desto größer die Abhängigkeit des Unternehmens von seiner Person. Indikatoren für eine große Abhängigkeit sind folgende Beobachtungen:

  • Der Geschäftsführer ist in der Neukundenakquise und bei Präsentationen immer noch stark involviert und somit zentraler Bestandteil für den erfolgreichen Abschluss

  • Einige Großkunden rufen den Geschäftsführer persönlich an und haben keine weiteren Ansprechpartner im Unternehmen

  • Der Geschäftsführer hat in bestimmten Unternehmensbereichen exklusives Wissen, welches nicht dokumentiert ist und für andere Mitarbeiter*innen nicht zugänglich ist

  • Der Geschäftsführer erbringt Dienstleistungen gegenüber Kunden und stellt diese in Rechnung

  • Insbesondere bei Softwareunternehmen: der Geschäftsführer entwickelt gelegentlich noch selbst die Software weiter

Warum ist die Abhängigkeit ein Problem?

An wen auch immer der geschäftsführende Gesellschafter sein Unternehmen übergeben möchte: jeder Interessent will das Unternehmen mit den Mitarbeitern weiterzuentwickeln und auf existierenden Geschäftsbeziehungen aufzubauen. Wenn ein beliebiger Mitarbeiter danach nicht mehr zur Verfügung steht, ist dies schon ungünstig, weil für den Käufer natürlich die Suchkosten für eine neue Person anfallen. Wenn der geschäftsführende Gesellschafter von einem Tag auf den nächsten nicht mehr da ist, ist das Problem offensichtlich gravierender, insbesondere wenn ein großer Teil des Geschäftserfolgs von seinen Aktivitäten abhängt. Wenn die Person des Geschäftsführers entscheidend für die Neukundengewinnung war, heißt dies für die Zukunft verschlechterte Chancen auf weitere Neukunden. Im Endeffekt verschlechtert sich die kommerzielle Aussicht des Unternehmens für ein Szenario nach Unternehmensübergabe, je abhängiger das Unternehmen vom Geschäftsführer ist.

Wie kann also ein geschäftsführender Gesellschafter schon frühzeitig darauf hinwirken, dass sein Unternehmen auch unabhängig von ihm funktioniert?

Tipp 1: Eine Woche lang die typischen Aktivitäten aufschreiben.

Es bietet sich zunächst an, eine erste Bestandsaufnahme durchzuführen. Dazu sollte der Geschäftsführer für eine Woche detailliert protokollieren, welche Tätigkeiten er / sie durchführt. Diese Liste muss das höchste Maß an Granularität aufweisen, um einen Mehrwert zu haben. 

Eine beispielhafte Liste kann so aussehen:

08.30 - 09.00: E-Mails beantworten (3x intern, 1x Kunde X, 1x Kunde Y)

09.00 - 10.30: Vorbereitung Slides für interne Besprechung im Bereich Neukundengewinnung

10.30 - 12.00: interne Besprechung Neukundengewinnung (Teilnehmer A, B, C)

12.00 - 13.00: Mittagessen mit Person XY

13.00 - 14.00: Präsentation der Software für Großkunden G (Teilnehmer A, B, C, D) via Zoom

14.00 - 14.20: Interne Nachbesprechung der Präsentation

14.20 - 14.30: E-Mails (2x intern)

14.30 - 15.00: Besprechung mit der Buchhaltung, Vorbereitung für den Jahresabschluss

15.00 - 16.00: Telefonkonferenz mit Steuerberater S

16.00 - 16.45: Überprüfung der Ausschreibungsunterlagen für Großprojekt P

16.45 - 17.30: E-Mails (2x intern, 1x Bank, 1x IHK, 1x Agentur)

17.30 - 19.00: Review Webseitenkonzept (UI / UX) von Agentur A

Nach einer, bzw. ggf. zwei Wochen eines detaillierten Aktivitätenprotokolls ist die Grundlage gelegt. Nun können die Aktivitäten, die durchgeführt wurden gruppiert werden.

Tipp 2: externen Coach holen

Um nun zu definieren, welche Aktivitäten auch ein “fremder Dritter” (also eine neue Geschäftsführerin) ohne Probleme hätte durchführen können und bei welchen Aktivitäten lediglich der aktueller Geschäftsführer die Aufgabe übernehmen könnte, empfiehlt es sich mit einer “neutralen” Partei zusammenzuarbeiten.

Dies kann ein Coach sein oder eine Vertrauensperson, die sich im Umfeld der Herausforderungen in der Unternehmensnachfolge auskennt. Was kann ein Coach leisten?

Bei der Einschätzung der “kritischen Geschäftsprozesse”, die noch sehr von der Person der Geschäftsführung abhängen, ist die Diskussion mit einem neutralen Dritten sehr förderlich. Diese Person kann hinterfragen, kontextualisieren und zu einer ehrlichen Beurteilung führen. Alleine endet die Einschätzung oftmals im Extremen: Entweder alles kann eigentlich auch von einem anderen übernommen werden, oder aber jede Aktivität kann eigentlich nur vom geschäftsführenden Gesellschafter durchgeführt werden. 

Aufbauend auf der Identifikation der Themenbereiche, die noch stark vom Geschäftsführer abhängen, sollte gemeinsam ein Zeitplan, eine Vorgehensweise etabliert werden, um hier schrittweise die Abhängigkeit zu reduzieren. Dies kann beinhalten, Mitarbeiter gezielt in bestimmte Entscheidungsprozesse einzubinden oder natürlich neue Mitarbeiter einzustellen. Oder aber, eine Softwarelösung einzuführen die es ermöglicht effizienter zu koordinieren.

Tipp 3: Langer Testurlaub

Nach einer gewissen Zeit - sofern Sie eine Zeitleiste definiert haben und gezielt an der Reduktion der Abhängigkeit von Ihrer Person arbeiten - sollte ein längerer Testurlaub durchgeführt werden. Und dies im Idealfall nicht im Juli oder August, also zu den gängigen Urlaubszeiten, sondern zu den Hochzeiten des Geschäfts, also bspw. im April und Mai, oder im September und Oktober.

Diese Maßnahme wirkt immer recht “hart”, weil theoretisch damit der Geschäftserfolg negativ beeinflusst werden kann. Aber nur wenn Sie sich mehrere Wochen in einen längeren Urlaub verabschieden, können Sie im Anschluss bewerten und analysieren, welche Themen aufgrund Ihrer Abwesenheit nicht vorangekommen sind. Woran hat es gelegen? Warum konnte Mitarbeiter X dieses Thema nicht allein vorantreiben und hat auf Ihre Antwort gewartet? 

Mit den gewonnenen Erkenntnissen können Sie dann im Anschluss noch gezielter darauf hin arbeiten, “überflüssig” zu sein. Dieser Status wird in kleinen Unternehmen wahrscheinlich nie vollends erreicht, ist jedoch als Zielbild sehr wichtig.

Fazit

Für kleine Unternehmen ist eine Vorbereitung der Unternehmensnachfolge essentiell. Das Thema “Reduktion der Abhängigkeit von der Person des Geschäftsführers” wird dabei oftmals vernachlässigt, weil der Unternehmenserfolg im Vordergrund steht. Doch je abhängiger der Unternehmenserfolg vom Geschäftsführer, desto geringer die Möglichkeit eine tragfähige Lösung für die Zukunft zu finden. Im Zweifelsfall wird der potentielle Käufer das Risiko einschätzen und unter Umständen nur einen geringeren Kaufpreis zahlen wollen. 

Um dies zu vermeiden, können jedoch gezielt Maßnahmen eingeleitet werden, um über einen Zeitraum von 24-36 Monaten die Abhängigkeit zu reduzieren. Dies ist oftmals eine große emotionale Herausforderung, weil dies bereits als Vorläufer der Unternehmensnachfolge wirkt. Dennoch unerlässlich, um den Fortbestand des Unternehmens unabhängig von der eigenen Person zu sichern.

Autor: Niels Reinhard