Ein Wechsel in der Geschäftsführung ist - insbesondere in kleinen Unternehmen - eine hoch sensible Angelegenheit, die ausreichender Vorbereitung bedarf.
Nicht in allen Fällen hat der Nachfolger in der Rolle des Geschäftsführers die Zeit, sich über mehrere Jahre mit den internen Prozessen bekannt zu machen. Insbesondere bei einer Unternehmensnachfolge, im Zuge derer der Geschäftsführer-Gesellschafter ausscheidet und ein externer Geschäftsführer übernimmt, müssen die unterschiedlichen Nuancen des Geschäfts innerhalb kürzester Zeit vermittelt und übergeben werden.
Die Besonderheit bei Softwareunternehmen ist in dem Fall, dass es keine “Maschinen” oder besonders technischen Produktionsprozesse gibt, sondern das Unternehmen lediglich auf dem “Wissen der Mitarbeiter” basiert. In diesen Unternehmen ist der Übergabeprozess umso sensibler, da er einen hohen Anteil interpersoneller Faktoren beinhaltet.
Dieser kurze Überblick kann für neue Geschäftsführer einen Anhaltspunkt dafür bieten, welche unterschiedlichen Aspekte während einer kurzen Einarbeitungszeit adressiert werden sollten.
Diese Liste kann somit Grundlage für einen “individuellen 100-Plan” sein. Im Idealfall steht der alte Geschäftsführer auch nach seinem Ausscheiden bei konkreten Nachfragen zur Verfügung. Sollte dies nicht der Fall sein, steigt die Relevanz der Übergangsphase nochmals.
Leitfrage für den den neuen Geschäftsführer sollte stets sein:
Welche Informationen benötige ich, um das Geschäft erfolgreich in die Zukunft zu führen? Diese Informationen können unterschiedlicher Natur sein, weshalb wir diese Frage entlang folgender Kategorien beleuchten wollen:
(1) Geschäftsmodell
(2) Finanzen
(3) Personal
(4) Operatives
(5) Geschäftsbeziehungen
(6) Produkt / Projekte
Einarbeitung als neuer Geschäftsführer: Verständnis vom Geschäftsmodell
Ein tiefes Durchdringen aller Umsatz- und Kostenpositionen bildet das Grundgerüst für das Verständnis des Geschäftsmodells. Zentrale Fragen sind also: Womit verdient das Unternehmen das Geld? Welche Kosten entstehen dabei?
Auch wenn sich ein externer Geschäftsführer vor Übernahme der Aufgabe mit den essentiellen Daten des Unternehmens bereits beschäftigt haben wird (gegebenenfalls sogar in die Due Diligence involviert war), sollten die initialen Annahmen nochmals validiert werden.
Verständnis aller Umsatzpositionen:
Durchsicht aller vertraglich zugesicherten Umsätzen (bspw. durch Wartungsverträge, Verständnis der niedergelegten Konditionen, Möglichkeiten für Preiserhöhungen, Haftungsrisiken, etc.)
Durchsicht aller nicht vertraglich zugesicherten Umsätze (z.B. Produktverkauf, Dienstleistungen, Lizenzverkauf, etc.)
Verständnis eventueller Sonderumsätze / - effekte
Verständnis aller Kostenpositionen:
Durchsicht aller vertraglich wiederkehrenden Kosten (Mietverträge, Arbeitsverträge, etc.)
Durchsicht aller nicht vertraglich wiederkehrenden Kosten und entsprechender Konditionen (Materialeinkauf, Fremdleistungen, Beratungsleistungen)
Analyse von Fixkosten & variablen Kosten
Ziel der detaillierten Durchsicht sollte es sein, die “planbaren Aspekte” des Geschäftsmodells als Grundlage zu nehmen, und die weniger planbaren Aspekte so zu systematisieren, dass sie einer gewissen Planbarkeit unterliegen.
Denn sämtliche Annahmen und Planungen hinsichtlich Umsatz und Kosten sollten in einem Geschäftsplan (ggf. mehrjährig) und entsprechendem internen Controlling abgebildet sein.
Existieren alle relevanten Informationen und wie wurden die Informationen bisher verarbeitet?
Wie wurde das Geschäft bisher von der Geschäftsführung gesteuert? Welche Elemente könnten übernommen werden?
Welche Daten werden benötigt, um das Geschäfts gemäß Geschäftsplanung zu steuern?
Welche Daten fehlen noch / werden noch nicht strukturiert erfasst?
Wie können aktuelle Daten besser genutzt werden?
Welche Daten werden bezüglich der Planung (forward-looking) genutzt? (Vertriebspipeline, Angebotsbestand, Auftragsbestand, etc.) Wie verlässlich waren diese Daten in der Vergangenheit?
In welchen Systemen liegen die Daten und wie flexibel ist das Reporting?
Der neue Geschäftsführer sollte sich in der Einarbeitungszeit ein klares Bild darüber machen, ob er im Betrieb über ausreichend Daten verfügt, um das Geschäft anhand von klaren Kennzahlen zu steuern. Eine Jahresplanung mit hoher Konfidenz ist nur bei einer gut strukturierten Datenbasis möglich, die Umsatzerlöse sowie Kosten gut prognostizieren kann und die Organisation so ausrichtet, dass der Plan erfüllt werden kann.
Verständnis der Finanzen als wichtige Komponente bei Unternehmensübernahme
Ein Verständnis aller aktuellen Zahlungsströme und der dahinterliegenden administrativen Prozesse ist ebenfalls Priorität für den neuen Geschäftsführer. Zentrale Frage: Wie viel Geld verdient das Unternehmen?
Das bedeutet konkret:
Durchsicht aller Kontobewegungen des letzten Jahres und Verknüpfung mit Umsatz / Kostenpositionen
Durchsicht des Anlagenverzeichnisses und des Rückstellungsspiegels:
Sind weitere Investitionen in das Anlagevermögen im Jahr notwendig? In welcher Höhe und wann sind diese geplant?
Wann werden die Rückstellungen (bspw. für Prozesskosten, Tantieme, oder ähnliches) Cash-effektiv?
Kassenbestand:
Wie hoch ist der aktuelle Kassenbestand / Bankguthaben?
Welche Konditionen hat die Bank? Werden Negativzinsen ab einem gewissen Betrag fällig?
Gibt es Vereinbarungen über Kontokorrentlinien oder ähnliches?
Durchsicht der Verbindlichkeiten
Welche Zahlungsbedingungen gibt es für die Rechnungen, welche die Firma begleichen muss? Werden diese voll ausgereizt?
Gibt es zinstragende Verbindlichkeiten bzw. Tilgungsverpflichtungen? Wann sind diese geplant?
Durchsprache / Einarbeitung mit der Buchhaltung
Wie ist die Rechnungsstellung organisiert?
Wie läuft das Management der Offenen Posten / Forderungen?
Wer ist für das Mahnwesen zuständig?
Welche Kunden sind schon seit geraumer Zeit im Verzug? Wer ist für den Kundenkontakt zuständig?
Kontakt zum Steuerbüro / Steuerberater
Der neue Geschäftsführer sollte - sofern es noch kein internes Liquiditätsmanagement gibt - darauf hinarbeiten, dass die verfügbaren Informationen in diesem Hinblick genutzt werden.
Welche Elemente fehlen, um sowohl für monatliches Reporting als auch für die Planung eine Cashflow-Rechnung zu integrieren? Sofern das Unternehmen in der Vergangenheit bereits einmal Liquiditätsengpässe hatte, wird dieser Aspekt umso relevanter.
Personal: Neue Geschäftsführer etablieren sich als Führungskraft & verstehen die Team-Dynamik
Insbesondere in kleinen Firmen mit weniger als 20 Mitarbeitern, ist es für den neuen Geschäftsführer wichtig, in den ersten Wochen bereits eine Einschätzung der unterschiedlichen Rollen und Positionen zu bekommen. Gerade in Software-Geschäftsmodellen sind die Mitarbeiter, ihre Wissen und ihre Kompetenz, der entscheidende wertbildende Faktor des Unternehmens.
Ausführliche persönliche Gespräche mit allen Mitarbeitern, Einblicke in persönliche Entwicklungsziele und Chancen sind die Grundlage dafür, um im Anschluss nicht nur Unternehmensziele zu verfolgen, sondern diese auch auf das individuelle Level runterzubrechen.
Eine neue Geschäftsführung bedeutet für viele Mitarbeiter oftmals auch große Unsicherheit. Der neue Geschäftsführer muss sich - gerade wenn er als Externer dazu kommt - seine Position in den Augen der Mitarbeiter erst verdienen.
Eine klare Kommunikation zur Beibehaltung bestimmter betrieblicher Übungen (Urlaubsgeld, etc.), ggf. regelmäßiger Lohnerhöhungen, Home Office Möglichkeiten etc. ist deshalb essentiell (sofern gewünscht). Gleichzeitig sollte der Geschäftsführer verstehen, wie er das Potential der einzelnen Mitarbeiter besser heben und entsprechende Anreize implementieren kann. Die Mitarbeitergespräche können dem neuen Geschäftsführer ebenso ermöglichen, die Unternehmenskultur besser einzuschätzen und weitere, nicht formalisierte Informationen über den Zustand des Unternehmens zu bekommen.
Übernahme der Geschäftsführung: Operative Geschäftsprozesse
Insbesondere in den ersten Tagen und Wochen sollte der neue Geschäftsführer nicht mit zu vielen eigenen Ideen die Organisation überfrachten. Vielmehr geht es darum gezielt zu verstehen, wie einzelne Abteilungen im Unternehmen arbeiten, um sich schrittweise Hypothese für mögliche Verbesserungen daraus abzuleiten.
Beispiel Support:
In Softwareunternehmen gibt es üblicherweise eine “Support”-Abteilung, also Personen, die via Telefon und E-Mail dem Kunden assistieren, sofern Probleme bei der Softwarenutzung auftreten. Komplexere, gar technische Fragestellungen werden meist direkt in die Entwicklung weitergeleitet. Für einen neuen Geschäftsführer bietet es sich an, eine oder zwei Wochen einfach im Support “mitzuarbeiten”. Das kann anfangs sehr passiv sein (Beobachtung) und dann im Anschluss schon in den ersten Telefondienst übergehen.
Der neue Geschäftsführer kann so hervorragend Einblicke gewinnen, wie die Support-Abteilung strukturiert ist. Gibt es ein Ticket-System? Wie werden die Support-Fälle abgearbeitet? Wie ist die Stimmung in der Support-Abteilung und welche Dynamiken gibt es zwischen den Mitarbeitern? Wird in den Gesprächen gezielt versucht, “nachzuverkaufen”?
Zudem ist die Support-Abteilung ein hervorragendes Fenster zum Kunden: welche Art von Anfragen / Beschwerden kommen an? Wie viele Support-Anrufe gibt es? Wie ist die Stimmung bei den Kunden?
Ein kurzes “Support-Praktikum” kann somit aus vielerlei Hinsicht positiv sein: (1) Der neue Geschäftsführer lernt die Mitarbeiter und ihre Arbeit kennen und erarbeitet sich “Respekt”, weil er genuines Interesse und Wertschätzung für ihre Arbeit zeigt. (2) Erkenntnisse über Support-Prozesse können direkt in Verbesserungsideen umgemünzt werden. (3) Der neue Geschäftsführer gewinnt einen guten Einblick in die Kundenanforderungen.
In abgeänderter Form bietet sich ähnliches Vorgehen auch in den anderen Abteilungen an. Vertrieb / Marketing, Entwicklung, Buchhaltung / Admin. Hier ist es möglicherweise nicht förderlich, eine ganze Woche als “Praktikant” mitzuarbeiten, aber in kondensierter Form lassen sich auch hier durch direkte Interaktion wichtige Erkenntnisse für die anschließende Geschäftsführer-Tätigkeit gewinnen.
Konkrete operative Details
Abseits von sämtlichen Aktivitäten, die darauf abzielen die verschiedenen Komponenten des Geschäftsmodells besser zu verstehen, gibt es auch einige operative Punkte die nicht vernachlässigt werden sollten: Welche “operativen Informationen” gibt es, die für die Weiterführung des Unternehmens zentral sind?
Einrichtung einer E-Mail Weiterleitung für den E-Mail-Account des alten Geschäftsführers, sodass keine Korrespondenz verloren geht
Beenden vom Zugang zum Bankkonto des alten Geschäftsführers, Widerruf aller existierenden Vollmachten und Anmelden des neuen Geschäftsführers
Übergabe aller Passwörter für alle vom Unternehmen genutzten Services
Aufstellung aller Accounts bei Dienstleistern, Softwareprodukten etc., die das Unternehmen besitzt
Übergabe von Schlüsseln für die Büroräumlichkeiten / Garage etc.
Einführung in das Dokumentenmanagement des Unternehmens, Archivierungspraxis
Unter Umständen: Rückgabe des Dienstwagens des alten Geschäftsführers, Abwicklung des Leasingvertrags
Übergabe von Geschäftsbeziehungen bei der Unternehmensnachfolge
Bei kleinen Unternehmen, die - oftmals über Jahrzehnte - vom Gründer aufgebaut wurden, ist die Abhängig von der “Person” meist schwierig einzuschätzen.
Der neue Geschäftsführer sollte großen Wert darauf legen nachzuvollziehen, welche konkreten Aktivitäten der Geschäftsführer im letzten Jahre durchgeführt hat, also: was war seine Rolle konkret und wie hat er diese ausgefüllt?
Dazu können erste Anhaltspunkte folgende sein:
Durchsicht des Kalenders des alten Geschäftsführers
Welche externen und internen Termine wurden wahrgenommen?
Gab es sonstige Regeltermine?
Erstellung einer Kontaktliste aller externen Kontakte
Analyse: welche Geschäftsbeziehungen beruhen auf starker persönlicher Bindung?
Hinwirken auf persönliches Vorstellen beim Geschäftspartner
Zu welchen Veranstaltungen wurde die Firma eingeladen? Welche wurden besucht?
Wer sind die relevanten Ansprechpartner bei den Veranstaltungsformaten?
Kontakte von relevanten Wettbewerbern
Aufstellung aller Geschäftspartner und Vorstellung gemeinsam mit dem alten Geschäftsführer
(Groß-)Kunden
Vertriebspartner / Distributoren
Dienstleister, Steuerberater / Lohnbüro, Wirtschaftsprüfung, etc.
etc.
Einblicke in wichtige Gewohnheiten / Gepflogenheiten der Branche, Geburtstage und ähnliches
Dieser Bereich ist für einen neuen Geschäftsführer am schwierigsten zu durchdringen. Umso wichtiger ist es, mit Anhaltspunkten wie Kontaktlisten, Kalendereinträgen etc. zu systematisieren, wie der alte Geschäftsführer bisher die Geschäftsbeziehungen gepflegt hat. Nur so können die relevanten Informationen akquiriert werden, die es ermöglichen, das Unternehmen in eine erfolgreiche Zukunft zu führen.
Produkt & Projekte: wie neue Geschäftsführer sich sukzessive in die Themen einarbeiten
Der neue Geschäftsführer sollte sich in den ersten Monaten zudem ein Bild davon verschaffen, welche Projekte der alte Geschäftsführer in den letzten Monaten noch initiiert hat. Welche Ideen bzgl. der Produktentwicklung / des Produktportfolios existieren? Unter Umständen existieren hier noch Gedankensammlungen, Ideenpariere, Notizen oder ähnliches die dem neuen Geschäftsführer einen weiteren Einblick ermöglichen.
Bevor der neue Geschäftsführer hier neue Akzente und Priorisierungen setzt, sollte er im Gespräch mit Kunden, Mitarbeitern (Vertrieb / Produkt / Entwicklung) und der alten Geschäftsführung seine Ideen validieren und im Anschluss Handlungen definieren. Dieser Prozess überdauert meist die konkrete Einführungsphase, in der es zunächst darum geht das operative Geschäfts “im Griff” zu haben, zumal erst dann positive Initiativen gestarten werden können.
Fazit: Unternehmensübernahme & Einarbeitung der Geschäftsführung
Während der Übergangsphase hat der neue Geschäftsführer die Chance, möglichst viele Informationen zu akquirieren, um das Geschäft - nach dem Ausscheiden des alten Geschäftsführers - zu übernehmen und erfolgreich weiterzuführen.
Diese Informationen können unterschiedlicher Natur sein. Sie können die Natur des Geschäftsmodells betreffen (Womit wird Geld verdient und wann kommt das Geld auf dem Konto des Unternehmens an?), operativer (welche Zugangsdaten gibt es für die Lohnbuchhaltung?) oder informeller Natur sein (welche Geschäftsbeziehung ist fragil?).
Selbstverständlich kann ein neuer Geschäftsführer innerhalb weniger Monate nicht alle Aspekte voll durchdringen. Mit einem klaren Vorgehensplan (welche Informationen möchte ich bekommen?), kann jedoch ein neuer Geschäftsführer eine höhere Konfidenz entwickeln, das Geschäft erfolgreich weiterzuführen und erhält Anhaltspunkte, um sich mit gewissen Aspekten tiefergehend zu beschäftigen und eigene Ideen zu entwickeln, wie bestimme interne Prozesse bzw. Produkte verbessert werden können.
Zusammenführung im 100 Tage Plan
Es empfiehlt sich, die angesprochenen Punkte bereits in der Planung für den Start auf eine Zeitachse zu legen. Für jede Woche sollte der Geschäftsführer klar definieren, welche Aspekte des Geschäfts er durchdringen möchte, etc. Nur mit einer sauberen Planung kann nach drei Monaten eine gute Einarbeitung gesichert sein.
Autor: Niels Reinhard