Vor 15 Jahren war es üblich seine eigenen Server zu betreiben, heute spart man Entwicklungszeit und kauft passende Dienstleistungen von Heroku, DigitalOcean, AWS und Azure. Doch damit nicht genug: Machine Learning wird als als API von Azure angeboten, SMS Kommunikation übernimmt die Trello API und die Bezahlung wird von Stripe und Co abgewickelt.
Als Entwicklungs- oder Produktverantwortlicher ist die Frage “Buy versus Build” oftmals im Zentrum der Tätigkeit. Ist es sinnvoll, selbst eine eigene Lösung zu entwickeln oder stattdessen eine bestehende Lösung zu kaufen und die gesparte Zeit in andere, strategisch sinnvollere Projekte zu investieren?
Wenn es bei technischen “Buy vs. Build” Entscheidungen darum geht, die Zeit des Entwicklungsteams strategisch sinnvoll einzusetzen, so gibt es auf der Vertriebsseite ähnliche Abwägungen.
Anders als im technischen Bereich sind die Komponenten des “Vertriebsstacks” nicht immer so klar erkennbar. Wir geben hier einen Überblick über die Komponenten des “Vertriebsstacks” um die “Buy vs. Build”-Entscheidungen im Vertrieb zu erleichtern.
Im Vertrieb gibt es, wie überall, viel Jargon, Akronyme und Fachbegriffe. Wir versuchen hier bewusst ohne diese zu schreiben.
Für die Zwecke dieser Analyse ist es sinvoll, den Weg des Kunden zum Produkt in drei Arten zu unterteilen.
Erstens, der Kunde sucht und findet das Produkt komplett selbstständig und kauft ohne Kontakt mit einem Menschen. Wirtschaftlich geht diese Rechnung auf, wenn das Produkt günstig und der Markt sehr groß ist. Beispiele sind Produkte wie Office 365, einfache Steuersoftware für Endkunden und ähnliches.
Zweitens, der Kunde sucht und findet das Produkt und initiiert eigenständig den Kontakt. Ein Beispiel eines Vertriebsprozesses: Der Kunden nimmt an einem Webinar zu einem Thema teil und hinterlässt dafür seine Kontaktdaten und ergänzende Informationen. Interesse und Kontaktdaten stehen bereit und der Vertriebler übernimmt die nächsten Schritte auf dem Weg zum Verkauf - per Telefon oder per E-mail.
Drittens, der Verkäufer geht direkt auf den Kunden zu. Vertriebler einer Software zum Management von Einkaufsprozessen kontaktieren beispielsweise gezielt die Leiter von Einkaufsabteilungen, ohne dass diese notwendigerweise das Produkt oder das Unternehmen kennen.
In Teile aufgebrochen so sehen diese Schritte oft etwa so aus:
Im Folgenden gehen wir die einzelnen Blöcke durch, wir beginnen rechts oben.
Vorab zwei Dinge:
Erstens: Natürlich sind dies Verallgemeinerungen. Was intern (build) und was extern (buy) gemacht werden sollte hängt massiv von der Preisstruktur, Unternehmensstärken und Branchenspezifika ab.
Zweitens: Die hier vorgestellten Dinge machen immer erst ab einem größeren Volumen Sinn. Wenn es das Ziel ist, dass meine Software für die Einteilung von Mitarbeitern in Arbeitsschichten in den vierzig Baumärkten in meiner Umgebung eingesetzt wird, dann ist dieser Artikel nicht relevant. In diesem Fall wird es immer effektiver sein die Dinge selbst zu machen. Anders ist es zum Beispiel wenn mein Zielmarkt die etwa 2,500 Baumärkte deutschlandweit sind. In diesem Fall: weiterlesen.
Block: Passende Unternehmen finden
Bevor wir Ansprechpartner identifizieren können, müssen wir Unternehmen finden, in denen diese arbeiten. Kriterien sind entweder bezogen auf eine Branche und/oder auf die Größe, meistens abgebildet über die Mitarbeiterzahl.
Für die Klassifizierung nach Branchen ist die Klassifikation der Wirtschaftszweige sehr hilfreich, weil viele Datensätze danach durchsuchbar sind. Teilweise sind die Klassifizierungen recht granular - nehmen wir unser Beispiel mit der Software für Baumärkte, so finden wir diese wahrscheinlich unter: “52.46.3 Einzelhandel mit Bau- und Heimwerkerbedarf”
Anbieter:
Studentische Hilfskräfte finden Unternehmen durch Online-Research: deutschsprachige Hilfskräfte “on-demand” findet man beispielsweise über https://www.workgenius.com/de/
Spezialisierte Anbieter von suchbaren Unternehmenslisten, beispielsweise https://www.neugeschaeft.de/ oder https://www.northdata.de
Kosten: Ca. 1,50 Euro pro Unternehmen
Block: Ansprechpartner identifizieren
Es gibt drei Möglichkeiten für den passenden Ansprechpartner:
1) Der Geschäftsführer
2) eine von außen identifizierbare Rolle in Unternehmen (oft ab einer gewissen Unternehmensgröße)
3) ein nicht von außen identifizierbarer Ansprechpartner.
Im Falle des Geschäftsführer ist die Identifikation des Ansprechpartners einfach - diese Information ist gesetzlich im Impressum einsehbar oder als Teil des Datensatzes von den oben genannten Anbietern erkenntlich.
Wenn Branchensoftware ein Problem adressiert welches unternehmensintern einen spezifischen Verantwortlichen hat, sagen wir beispielsweise die Personalplanung, dann ist der Ansprechpartner manchmal von außen beispielsweise per Xing oder LinkedIn identifizierbar.
Ist der Ansprechpartner nicht von außen identifizierbar, so ist ein Kontakt mit dem Unternehmen notwendig um die passende Person zu identifizieren.
Lösungen:
Geschäftsführer: Adressen aus Datensatz (vorheriger Block)
Unklar. Kontakt mit dem Unternehmen notwendig (nächster Block)
Block: Erstes Telefonat
Ziel des ersten Telefonats sind zwei Dinge: Erstens, den relevanten Ansprechpartner identifizieren oder bestätigen. Zweitens den nächsten Schritt definieren. In einer überwiegenden Zahl der Fälle ist der nächste Schritt die Vereinbarung eines Termins mit dem relevanten Ansprechpartner: sei es für eine Diskussion der relevanten Probleme oder für eine Produktdemo.
Dieses erste Gespräch ist in der Regel unspezifisch im Inhalt. Gleichzeitig ist diese Tätigkeit zeitaufwendig und oft frustrierend, da eine Mehrheit der Gespräche nicht erfolgreich verläuft.
“Erste Telefonate” sind immer dann relevant, wenn Wachstum durch neue Kunden oder eine neue Kundengruppe ein Rolle spielt. Besteht bereits eine Kundenbeziehung oder gab es Kontakt auf Veranstaltungen sind diese Gespräche wesentlich einfacher.
Faustformel: In einer Stunde sind etwa 20 “Erste Telefonate” (Anrufversuche) machbar, pro Tag etwa 80-120. Vorausgesetzt natürlich, die Kontaktinformationen liegen strukturiert vor und der Fokus ist ausschließlich das erste Telefonat mit Terminvereinbarung.
Bei einer relativ großen Kundengruppe, im Beispiel also mit 2,500 Baumärkten deutschlandweit, wird es auch mit 100 Telefonaten pro Tag mehr als einen Monat dauern bis alle erreicht sind. Ob es sich lohnt, die Fähigkeiten und Mitarbeiter hierzu intern aufzubauen, ist eine strategische Frage.
Anbieter:
Telefonagenturen: Es gibt eine Reihe von Agenturen deutschlandweit die ähnliche Services anbieten. Wichtig für die Arbeit ist: ein gutes Verständnis der Zieldefinition und ein daran angelehntes Anreizmodell. Plus, im Vertrieb geht nichts über eine Testperiode. Wie viele erfolgreiche Demos werden durch die Agentur erreicht und was ist die Wahrscheinlichkeit des Abschlusses? Hier empfiehlt sich ein zeitlich limitierter (ein Monat ist oft genug) Test.
Kosten:
Häufig: Fixbetrag und Einmalzahlungen für jedes Ziel (vereinbarte Demo)
Block: Produktdemo und Closing
Auf eine erstes Telefonat folgt der Verkaufsprozess. Wir schreiben hier “Produktdemo”, meinen damit aber auch Bedarfsanalyse, Beratung und Anpassungen.
Es gibt selbstverständlich Produkte und Märkte in denen Demo und Closing auch outgesourced werden. In unserem Fokusbereich, Branchensoftware, macht dies allerdings in der Regel keinen Sinn, da extrem wertvolles Feedback, insbesondere aus nicht erfolgreichen Verkäufen verloren geht.
Zusammenfassung - der Vertrieb von Branchensoftware
Wertschöpfung auf technischer Seite entsteht oft durch eine neue Zusammensetzung bestehender Komponenten. “Buy vs. build” ist eine wichtiges Gedankenmodell, um den Fokus auf die Prioritäten zu schärfen.
Nach einer Analyse der Gründe für nicht oder zu langsam wachsenden Umsatz, beispielsweise mit einer Win/Loss Analyse, hilft ein klares Verständnis der Prozesskomponenten im Vertrieb. Denn auch der Vertrieb hat - mehr oder weniger - differenzierbare Elemente. Sobald diese Elemente klar sind, kann man strategische Entscheidungen treffen.
Autor: Steffen Bünau