Marktanalyse: ERP-Systeme im Verpflegungsmanagement / Teil 1

Für Millionen Menschen gehört das tägliche Mittagessen in der Betriebskantine oder der Universitätsmensa zum Alltag. Sie schätzen die zuverlässige, abwechslungsreiche Verpflegung mit hochwertigen Zutaten zu erschwinglichen Preisen. Diese reibungslose Versorgung ist indes das Resultat hochkomplexer logistischer und technologischer Prozesse, die außerhalb der Sicht der Versorgten ablaufen. Unabhängig von der bedienten Einrichtung müssen Küchenteams täglich sicherstellen, dass 

  • die richtigen Zutaten in ausreichender Menge vorhanden sind

  • der Speiseplan attraktiv/abwechslungsreich ist

  • die Gerichte gesund und von hoher Qualität sind 

  • für alle Ernährungspräferenzen (vegetarisch, vegan, glutenfrei, etc.) und Allergien passende Gerichte verfügbar sind

Darüber hinaus ergeben sich abhängig von der Kundschaft individuelle Anforderungen an die Zusammenstellung der Speisekarte. Als Resultat ist professionelles Verpflegungsmanagement heute eine hoch anspruchsvolle Tätigkeit, die neben vorausschauender Planung notwendigerweise Koordination mit Lieferanten, Finanzbuchhaltung, Kassensystemen und anderen Stellen in der Organisation erfordert. 

Dieser Beitrag zeigt aus Sicht der Anwender in Großküchen der Gemeinschaftsverpflegung, wie ERP-Systeme im Verpflegungsmanagement eingesetzt werden und beleuchtet, welche Schnittstellen notwendig sind, damit aus Rohzutaten in einem Warenlager fertige Gerichte werden, die täglich tausendfach über die Theken von Kantinen gehen. 

WO KOMMEN ERP-SYSTEME IN GROSSKÜCHEN ZUM EINSATZ?

ERP-Systeme in Großküchen werden überall dort genutzt, wo regelmäßig für eine große Anzahl von Kunden gekocht wird. Die Organisation, der es bedarf, um diese Aufgabe zu lösen, produziert eine so große operationelle Komplexität und Abhängigkeit von Lieferanten und anderen außenstehenden Parteien, dass eine Lösung zur Planung und Steuerung in einem Tool notwendig wird. Großküchen in 

  • Krankenhäuser und Rehakliniken 

  • Senioreneinrichtungen und Essen auf Rädern

  • Kindergärten, Schulen und Universitäten

  • Betriebsgastronomie 

  • Caterer

  • Lebensmittellieferanten und Lebensmittelindustrie

  • Schulen und Fortbildungseinrichtungen

nutzen daher ERP-Systeme, um dieser Komplexität Herr zu werden.

In anderen Worten: jeden Tag sind Millionen Kunden allein in Deutschland davon abhängig, dass Großküchen ERP-Systeme effektiv nutzen. ERP-Systemen spielen damit in der Gemeinschaftsverpflegung eine essentielle Rolle. 

ERP: DAS COCKPIT FÜR GROSSKÜCHENLEITUNGEN

ERP steht für “Enterprise Resource Planning” und beschreibt Softwarelösungen, mit denen die Nutzung von Ressourcen in Organisationen geplant wird. In Großküchen sind diese Ressourcen.

  1. die Rohzutaten

  2. die Arbeitszeit und Fähigkeiten der Küchenmitarbeiter 

  3. die Kapazität der Küchengeräte

Alle drei Ressourcen müssen so organisiert werden, dass die Küche in der Lage ist, die Nachfrage ihrer Kunden nach hochwertigen Gerichten zuverlässig und kosteneffizient zu erfüllen. Erfolgreich ist eine Großküche demnach dann, wenn sie dieses Ziel täglich erreicht. Es liegt dabei im Interesse der Küchenleitung, sehr wenige (oder idealerweise: gar keine) Zutaten zu verschwenden. 

Um diese Ziele zu erreichen, bedarf es einer sorgfältigen Planung sowie einer stetigen Orientierung an den Wünschen und Bedürfnissen der Kundschaft. Damit ERP-Systeme diese Ressourcenplanung und -koordination leisten können, verfügen sie in der Regel über 

eine Vielzahl von Modulen, die erst im Zusammenspiel den Erfolg der Großküche ermöglichen. Neben diversen anwendungsspezifischen Erweiterungen umfasst ein ERP-Programm dafür Module für 

  • Speisenplanung

  • Warenwirtschaft

  • Lieferanten-/Einkaufsmanagement

  • Betriebssteuerung

  • Nährwert-/ Allergeninformationen

  • Qualitätsmanagement

  • Beschwerdemanagement.

Im ERP-System kommen damit analog zu einem Flugzeugcockpit alle Informationen und Schalthebel zusammen, die es der Küchenleitung ermöglichen, ihre Operation zu steuern und vorausschauend zu planen. 

SCHNITTSTELLEN ALS ERFOLGSVORAUSSETZUNG FÜR ERP-SYSTEME

Damit ERP-Systeme in Großküchen maximal effektiv und effizient sind, müssen sie ihren Nutzer ermächtigen, alle notwendigen Arbeitsschritte aus der Umgebung des Programms heraus zu vollziehen. Voraussetzung hierfür ist, dass im ERP-System alle entscheidungsrelevanten Informationen zu erwarteten Mengen, Ernährungspräferenzen, Nährwerten, etc. zusammenlaufen. Nur so spart die Nutzung eines ERP-Systems Anwendern wertvolle Zeit und schafft echten, nachhaltigen Wert. Effektive ERP-Systeme verfügen daher über diverse Schnittstellen zu relevanten Organisations außerhalb der Küche und kommunizieren stetig und in beide Richtungen mit ihnen. Relevante Schnittstellen sind u.a.  

  • Patientenverwaltung (für Krankenhäuser und Altenheime)

  • Finanzbuchhaltung und Kostenrechnung (für Controlling) 

  • Mitarbeiterverwaltung 

  • Kassensysteme

  • Lieferanten/B2B-Marktplätze (für Beschaffung/Preisabfrage) 

  • Veranstaltungsplanung (für Veranstaltungsorte) 

  • Küchenleitsysteme (für Steuerung und Überwachung von Prozessen) 

HYGIENEAUFLAGEN, HACCP UND ERP-SYSTEME IN GROSSKÜCHE

Großküchen tragen als Lebensmittelverarbeiter eine große Verantwortung für die Sicherheit der von ihnen zubereiteten Gerichte. Das größte Risiko zur Verbreitung lebensmittelbedingter Krankheiten entsteht dabei neben der unsachgemäßen Zubereitung von Zutaten aus der Verarbeitung kontaminierter Zutaten. So kam es etwa 2012 in fünf ostdeutschen Bundesländern zu einem Norovirus-Ausbruch mit über 10.000 betroffenen Kindern und Jugendlichen, nachdem in Gemeinschaftsküchen in Schulen und Kindertagesstätten eine Charge kontaminierter Tiefkühlerdbeeren verarbeitet wurde. 

Aufgrund dieser großen Verantwortung sind Großküchen einer Vielzahl von Regulierungen unterworfen, die sicherstellen sollen, dass im täglichen Betrieb stets höchste Standards der Hygiene und Lebensmittelsicherheit gewahrt bleiben. Entsprechend sind Großküchen verpflichtet, neben definierten Prozessen zur Instandhaltung der allgemeinen Hygiene (Reinigungsverfahren, Schädlingsbekämpfung, Abfallentsorgung) und der Personalhygiene (persönliche Sauberkeit, Verhalten des Personals) auch Bestimmungen zur Lagerung und Beförderung von Zutaten und zubereiteten Gerichten stets zu befolgen. 

Teil eines jeden Hygiene-Plans ist hierbei die Etablierung eines sog. “HACCP”-Systems (Hazard Analysis Critical Control Points, dt. Gefahrenanalyse und kritische Lenkungspunkte). Das HACCP beschreibt “ein System, das im Bezug auf die Lebensmittelsicherheit gefahren identifiziert, bewertet und lenkt”. Die Ermittlung der Gefahren erfolgt dabei in drei Schritten:

  1. Beschreibung der Rohstoffe/des Produktes sowie des beabsichtigten Zwecks

  2. Erstellung eines Fließdiagramms des Herstellungsprozesses

  3. Ermittlung aller verbundenen Gefahren 

Für jede ermittelte Gefahr werden im weiteren Verlauf Schwellenwerte festgelegt sowie Verfahren bestimmt, die bei einer Überschreitung des Gefahrengrenzwerts dazu dienen, die gefährliche Zutat umgehend aus dem Küchenbetrieb zu entfernen und so Erkrankungen ihrer Kunden zu verhindern . Ein Beispiel illustriert, warum ein HACCP-System so wichtig ist.

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Als Sammelstelle aller Produkt- und Prozessinformationen leisten ERP-Systeme in Großküchen damit einen unerlässlichen Beitrag zur Erstellung und Einhaltung von HACCP-Plänen. Durch die Vernetzung mit Datenbanken von Lieferanten, Gesundheitsbehörden und Personalabteilung liefert das ERP-System der Küchenleitung stets aktuelle Informationen zu allen Zutaten und Prozessen sowie zu den Hygieneschulungen des Küchenpersonals. Die Erfassung aller im Küchensystem befindlichen Zutaten, etwa durch Barcode-Scans, im ERP-System ermöglicht zudem das Ausspielen von Warnhinweisen und den Verweis auf den passenden HACCP-Plan bei Überschreitung etwa eines Lagerzeitgrenzwerts. 

DIGITALISIERUNG IN DER GROSSKÜCHE: IOT, CONNECTED COOKING UND MODERNE ERP-SYSTEM

Die Digitalisierung hält zunehmend auch in die Gemeinschaftsverpflegung Einzug: immer mehr Kantinen ermöglichen es ihren Kunden, bargeldlos zu bezahlen, Gerichte per App vorzubestellen und Verbesserungsvorschläge zu machen. Analog zu dieser Digitalisierung der kundenseitigen Prozesse findet auch in der Küche selbst eine stetige digitale Evolution statt: Innovationen in den Bereichen Sensorik und Datentransfer machen die Vernetzung von Küchengeräten, Kühlräumen und ERP-Systemen zunehmend einfacher – und erschließen durch Automatisierung und Echtzeitauswertung der generierten Daten bisher ungekannte Potentiale für Effizienz- und Zeitgewinne

Ist etwa ein Heißluftdämpfer nicht nur mit einem Temperatursensor ausgestattet, sondern auch mit der Rezeptplanung und dem Warenwirtschaftssystem vernetzt, kann er nicht nur  die eigene Temperatur messen, sondern auch die relevanten Küchenmitarbeiter informieren, sobald das gerade zubereitete Schweinefilet seine gewünschte Kerntemperatur erreicht hat.

Auch in der Einhaltung von Hygienevorschriften kann IoT hier einen Beitrag leisten: So ermöglicht der Einsatz von vernetzten Sensoren es etwa, Luftverschmutzung in der Küche frühzeitig zu erkennen und durch die automatische Regulierung der Belüftungssysteme eine anhaltende Verunreinigung und damit einen Verstoß gegen Hygieneauflagen zu verhindern. 

Durch die Möglichkeit der Fernwartung kann die Anwendung von IoT-Lösungen darüber hinaus dabei helfen, Kosteneinsparungen zu realisieren: Durch den Einsatz der “Connected Cooking”-Lösung der Rational AG, einem der führenden Anbieter von Hardware in der Gemeinschaftsverpflegung, konnte ein britischer Großküchenbetreiber bei 800 Geräten nach Unternehmensangaben vor allem durch Fernwartung im Geschäftsjahr 2018 “einen höheren sechsstelligen Betrag” einsparen.

Durch den Datenaustausch mit anderen Küchengeräten einerseits und dem ERP-System andererseits können so mittelfristig viele Prozesse der Großküche signifikant vereinfacht werden: nicht nur in der Annahme, Verarbeitung und Lagerung von Zutaten, sondern auch in der Dokumentation und Beseitigung von Hygienemängeln. Das moderne ERP-System funktioniert auch in diesem Szenario als das “Gehirn” der Großküche: Über Schnittstellen zu den Geräteherstellern laufen in ihm alle von den Geräten produzierten Daten zusammen, um in Verbindung handlungsrelevante Informationen zu generieren. Das Zusammenspiel von ERP-System und IoT verbessert so Energie- und Kosteneffizienz, vereinfacht zeitraubende manuelle Prozesse und gibt der Küchenleitung mehr Zeit, die Weiterentwicklung des Küchenangebots voranzutreiben. 

Der Einsatz von IoT-Lösungen in Großküchen steckt indes freilich noch in den Kinderschuhen. Ein Grund dafür ist der Mangel an integrierten, herstellerunabhängigen Komplettsystemen. Viele Hersteller von Geräten für professionelle Großküchen haben nachvollziehbarerweise ein Interesse daran, die von ihren Geräten produzierten Daten als Grundlage eines eigenen Analytics-Produkts zu vermarkten und nicht mit anderen Anbietern zu teilen. Ein offener Standard zur Kommunikation einerseits von Küchengeräten untereinander, andererseits mit ERP-Systemen könnte hier Abhilfe schaffen. 

Autor: Steffen Bünau